Als ich 16 war, hab ich von meine Mama zum Geburtstag ein Tomatenmesser bekommen, weil sie wusste, dass sie mir damit mehr Freude macht, als mit typischen Teenie-Geschenken. Obwohl ich noch nicht mal einen eigenen Haushalt hatte, war es das perfekte Geschenk. Meine Liebe zu Paradeisern wurde seither nur größer. Was ich damals noch nicht wusste, ist, dass es ein Fehler ist, das Innere der Paradeiser zu entfernen, obwohl es in vielen Rezepten steht. Ich bin grundsätzlich eher geneigt, mit einem “No-Waste”-Anspruch zu arbeiten und hab das Entkernen schon immer tendenziell bleiben lassen. Aber der Grund, warum die Kerne bzw. die gelartige Substanz rundherum sehr wichtig für ein Gericht sind, ist sehr interessant. Und da oft in Rezepten empfohlen wird, Tomaten zu entkernen oder das Innere gar zu entsorgen, schreibe ich diesen Artikel um euch davon abzuhalten.
Warum sollte man Tomatenkerne nicht entsorgen?
Tatsächlich ist nämlich genau das der Teil der Frucht, der den meisten Geschmack enthält. Was für eine Verschwendung also, Tomaten zu entkernen. Besonders paradox ist, dass gerade in der Spitzengastronomie (zumindest nach der klassisch französischen Schule) lange Zeit tunlichst alle Körndln entfernt wurden und auch heute immer noch werden, wo haute cuisine angesagt ist. Das ist aber eben geschmacklich nicht immer das beste. Der faule Hobbykoch, der eh sowieso keine Lust aufs Entkernen hat, ist also mit seiner all-in Paradeisersauce geschmacklich klar im Vorteil. Nun ist das Aushöhlen der Tomaten immer noch ein Schritt in vielen Rezepten. Ich würde es trotzdem nicht machen. Wenn es euer Gericht irgendwie erlaubt, lasst die Kerne bzw. die gelartige Substanz rundherum drin ODER verwendet sie weiter. Denn wer sie entsorgt, entsorgt Geschmack!
Erstmals gehört hab ich davon in Heston Blumenthals Serie “In Search of Perfection” (Serienempfehlung!), in der Hamburger-Episode, für die er auf der Suche nach der besten Tomatensauce war. Aber weil Köche im Fernsehen ja viel reden, wenn die Sendezeit lang ist, hab ich es lieber selbst ausprobiert und der geschmackliche Unterschied war deutlich. Paradeisersauce mit “Innereien” schmeckt viel besser als ohne – vorausgesetzt natürlich man hat gute Paradeiser, die in der Saison in der Erde gewachsen sind. Die gibt’s hierzulande genau jetzt, von ca. Ende Juli bis Mitte/Ende September. Davor und danach im Jahr erübrigt es sich geschmacklich sowieso, frische Paradeiser zu kaufen, zu essen, zu verkochen, da hilft auch das Umami-Wissen nicht. Außerhalb der Saison greife ich persönlich lieber auf die deutlich g’schmackigeren Konserven zurück, wenn’s den sein muss. Wer wie ich alles am liebsten selbst ausprobiert, kann z.B. eine Paradeisersauce zubereiten mit Kernen und eine ohne, nur aus dem Fruchtfleisch. Ihr werdet merken, dass die Variante in der die Kerne nicht entsorgt wurden, sehr viel besser schmeckt. Außer ihr verwendet die Analogtomaten im Winter, damit hab ich hab ich es nicht probiert.

Wissenschaftliche Erkenntnisse zum Tomaten-Innenleben
Blumenthal hat seine Vermutung auch wissenschaftlich prüfen und absichern lassen. Er hat damit eine universitäre Studie angeregt, denn ad hoc konnten die Wissenschaftler seine Frage nicht beantworten: Enthalten die Kerne und die gelartige Substanz rundherum mehr Glutamat? Glutamat ist ein in vielen Lebensmitteln natürlich vorkommendes Salz der Glutaminsäure, das in der Regel für den Wohlgeschmack verantwortlich ist, den Blumenthal zu schmecken meinte. Rausgefunden hat man an der University of Reading, dass Tomatenkerne, insbesondere die gelartige Umhüllung je nach Sorte bis zu 11-Mal soviel Glutamat enthalten wie das Fruchtfleisch.

Vom Geschmack her Böse: Glutamtat
Nur ein paar Fakten in aller Kürze, wobei das Thema einen eigenen Artikel wert wäre: Glutamat (auch Mononatriumglutamat, Natriumglutamat, MSG) ist keine Erfindung der Lebensmittelindustrie oder der Asia-Restaurants. Die verwenden dieses Salz der Glutaminsäure zwar oft als künstlichen Geschmacksverstärker, um minderwertige Zutaten zu kaschieren, aber es kommt auch in vielen Lebensmitteln natürlich vor. Es sorgt für den intensiven “Umami”-Geschmack, den wir meist mit “herzhaft” oder “wohlschmeckend” bezeichnen. In reifen Tomaten, Sardellen oder gereiften Produkten wie Prosciutto und Parmesan kommt es besonders stark vor und auch in Muttermilch. Dass es uns so schmeckt, ist – so derzeitiger Wissensstand – evolutionär bedingt. Es gibt uns Menschen den Hinweis, dass sich in einem Lebensmittel Eiweiß befindet, welches wir brauchen und lieben sollen. Irgendwann werde ich vielleicht auch darüber noch einen Artikel schreiben, warum es eher schwachsinnig ist, Glutamat per se zu verteufeln. Aber heute geht’s nur um die Tomaten und darum, dass das rund um die Kerne natürlich enthaltene Glutamat eben diesen herzhaften, köstlichen Geschmack gibt, den wir Umami nennen. Und den wollen wir im Essen behalten, nicht entsorgen.

Kann Man das Innenleben auch separat verwenden?
Ja klar. Mich persönlich stören die winzigen Kerne in einer Tomatensauce, Ketchup etc. gar nicht, daher lasse ich sie meistens gleich drin.Wenn ihr ein Rezept habt, das unbedingt kernfrei bleiben muss, könnt ihr das Innenleben z.B. in einem köstlichen Tomatenfond verarbeiten, wie Heston Blumenthal es auch macht. Dazu das Innenleben der Tomaten durch ein Sieb pressen, sodass wirklich nur die trockenen Kerne zurückbleiben, am besten mit einem Löffel oder Gummihund gut durchpressen. 20-30 Minuten in einem Topf sieden lassen und immer wieder umrühren. So entsteht ein extrem geschmackvolles Tomatenkonzentrat für Saucen, Dips oder Suppen. Das ist auch Heston Blumenthals Methode, um eine kernfreie Tomatensauce zu bekommen.
Ja, das ist aufwendig, aber es schmeckt halt auch so viel besser.
Ohne frische Paradeisern durch den Winter – früher undenkbar, heute das einzig Wahre
Meine Liebe zu Paradeisern wurde wie gesagt nur größer. Dennoch, oder gerade deshalb esse ich mittlerweile weniger. Früher konnte ich mir nicht vorstellen, außerhalb der heimischen Saison keine frischen Paradeiser zu kaufen. Ich hatte IMMER Paradeiser zuhause. Jetzt weiß ich nicht mehr, wie in aller Welt ich die geschmacklose Import- oder auch heimische Glashausware essen konnte. Wer jetzt die guten sonnengereiften Paradeiser isst, prägt sich diesen Geschmack am besten gut ein, um sich dann nach der Saison daran zu erinnern, dass es einfach unnedig ist, nach Saisonende Tomaten zu kaufen. Bei dringendem Tomatenbedarf empfehle ich auf konservierte (Bio-)produkte zurückzugreifen, möglichst naturbelassen und im Glas (weil Alumüll blöd ist). Für ganzjährig verfügbare Polpa, Passata etc. werden bei guten Herstellern vollreife Tomaten in der Saison und unmittelbar am Ort der Ernte eingekocht. Nicht alles, was konserviert ist, ist automatisch ungesund oder schlecht. Von Billigstware aus Tomaten unbekannter Herkunft würde ich auch bei Konserven abraten. Am besten ist es natürlich, selbst einzukochen, aber es gibt auch im Handel sehr gute Produkte, die vollreif saisonal geerntet und sofort verarbeitet wurden – tausend Mal besser als Frischware außerhalb der Saison. Was sind so eure besten Paradeisererkenntnisse? Freu mich über alle Kommentare! Happy Paradeisersaison!